Loreley singt nicht mehr by Merchant Judith

Loreley singt nicht mehr by Merchant Judith

Autor:Merchant, Judith [Merchant, Judith]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-426-41309-8
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-04-18T04:00:00+00:00


Tag drei

Elena war überrascht, als sie erwachte, denn die Tatsache, dass sie erwachte, musste bedeuten, dass sie vorher geschlafen hatte. Ihrer eigenen Wahrnehmung nach hatte sie kein Auge zugetan. Sie hatte sich herumgewälzt, bis Reimann auf das Sofa im winzigen Wohnzimmer umgezogen war. Er hatte geschnarcht – die ganze Nacht hindurch. Sie hatte bislang nicht gewusst, wie laut ein einziger Mensch schnarchen konnte.

Reimanns Invasion hatte den sofortigen Wunsch in ihr geweckt, ihn schnellstmöglich wieder loszuwerden. Es ist meine Wohnung, dachte Elena. Ich kann ihn einfach rausschmeißen.

Aber das konnte sie eben nicht. Auf irgendeine Weise bewirkte sein Auftritt, dass sie sich schlecht fühlte, schuldbewusst sogar. Sie hatte eine Beziehung mit einem Mann begonnen – oder eher: eine Affäre in eine Beziehung überführt –, der wegen der Kinder und der Steuern bei seiner Ehefrau wohnen blieb. Und nur, weil vieles an diesem Zustand sie zornig gemacht hatte, hatten sie gestritten, immer weiter, und das Ergebnis des Ganzen war, dass Reimann dachte, sie wolle etwas anderes von ihm, als sie bisher gehabt hatte. Was nicht stimmte. Was einfach nicht stimmte.

Aber wenn sie ihn jetzt lautstark hinauswarf, dann würden er und vor allem sie selbst den Eindruck haben, dass sie nicht ganz dicht war.

Aus der Küche hörte sie es rumpeln. Wahrscheinlich machte er gerade Frühstück.

Pärchenfrühstück.

Wütend schlug Elena in ihr Kopfkissen. Es kam nicht in Frage, dass Reimann so eine Pärchennummer mit ihr abzog. Sie wollte keine Küsse am Morgen, keine Rosen zwischen den Zähnen, kein »Hast du gut geschlafen, Schatz?«, kein Frühstückstablett mit Sekt und Orangensaft, sie wollte ihre Ruhe, und das würde sie ihm sagen.

Jetzt.

Als sie die Schlafzimmertür öffnete, stieg ihr als Erstes sein Zigarettenrauch in die Nase. »Mach das verdammte Ding aus!«, rief sie. Sie wollte das Fenster aufreißen, aber dann sah sie, dass es bereits offen stand.

»Guten Morgen auch«, sagte Reimann ungerührt. Er hockte auf dem Sofa, umgeben von Rauchkringeln, und trank Kaffee aus einer Tasse, von der sie gar nicht mehr gewusst hatte, dass sie sie besaß. Vor ihm lag ein Stapel Papiere.

Keine Rose auf dem Frühstückstablett, dachte Elena. Die Erleichterung darüber blieb merkwürdigerweise aus. »Was liest du da?«

»Die Kontodaten von Gernot Schirner. Und ich glaube beinahe, ich habe etwas gefunden.« Er reichte ihr die Ausdrucke, auf denen er mehrere Zahlen mit grünem Textmarker hervorgehoben hatte.

Elena griff nach den Papieren und setzte sich neben ihn auf die Sofalehne. Mit gerunzelter Stirn überflog sie die Zahlenreihen. Barabhebungen.

»Das ist ja …«, murmelte sie. Dann sah sie sich um. »Hast du zufällig Tee für mich gemacht?«

»Nein. Hätte ich sollen?«

»Bloß nicht!«

»Na dann ist’s ja gut. Du brauchst übrigens dringend eine richtige Kaffeemaschine.« Er rückte ein Stück, so dass sie sich neben ihn setzen konnte, und malte Kringel auf die Ausdrucke. »Guck mal hier.«

Sekunden später waren sie einträchtig in die Arbeit vertieft.

Ohne Frühstück.

Und ohne Rosen.

*

Fanny schien eine Langschläferin zu sein, und das erfüllte Juli mit Bitterkeit. In fliegender Hast bestrich sie Brote, schnitt Äpfel und Möhren und füllte sie in die Brotdosen der Kinder, nebenbei ermahnte sie Fips, seine Milch zu trinken, und stellte Hedda letzte Fragen zu ihrem heutigen Sachkundetest.



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